Das Evangelium nach Markus (1)
Markus berichtet das öffentliche Wirken Jesu, so wie er es vom Apostel Petrus gehört hat. Er beginnt mit Johannes, dem Täufer, dem im Alten Testament vorausgesagten Wegbereiter von Jesus dem Messias. Jesus lässt sich von Johannes taufen, und geht dann in die Wüste. Danach beginnt sein öffentliches Wirken. Jesus beruft die ersten Jünger und wirkt die ersten vollmächtigen Wunder, die als Zeichen des nahen Gottesreiches zu verstehen sind.
Artur
8/11/202416 min read
Das Evangelium nach Markus
Kap 1
Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Gottes Sohn. So beginnt, was Markus aufgeschrieben hat. In einem Schulaufsatz würde der Lehrer diesen Satz natürlich bemängeln. „Wenn man einen Anfang beginnt, muss man nicht eigens schreiben, dass das der Anfang ist. Das bemerkt der Leser selber!“ Das war Markus auch bewusst. Der damalige jüdische Leser wurde mit dem Wort Anfang an den Beginn der Heiligsten Schrift der Juden, der Thora oder der fünf Bücher des Mose erinnert. „Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde.“
Das Wort Anfang ist bei Markus ein Paukenschlag. Markus will sagen: ein Anfang ist gesetzt und er ist gleich bedeutsam wir die Erschaffung der Welt. Diese Bedeutsamkeit wird erst am Ende der Geschichte klar werden. Aber wer es verstehen will, der kann es jetzt schon sehen. Mit dem Weg Jesu beginnt der Weg hin zu einer neuen Schöpfung, einem wirklich neuen Anfang.
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Wie geschrieben steht beim Propheten Jesaja - Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg bahnen wird. Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen! -, so trat Johannes der Täufer in der Wüste auf und verkündete eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden. Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig. Er verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken und ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Ich habe euch mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen. V 2-8
Markus will von Jesus berichten. Er beginnt aber mit dem Täufer Johannes. Das hat mehrere Gründe. Johannes war ein naher Verwandter von Jesus. Er war einige Monate älter als Jesus und der Sohn eines Priesters. Das wäre noch kein Grund gewesen, ihn zu erwähnen. Eine der Gründe waren die Prophetien in der Schrift. Wenn Jesus der Messias war, dann musste es jemanden geben, einen Boten, der dem Messias voraus ging. Beim letzten Propheten des Alten Bundes ist zu lesen: Seht, ich sende meinen Boten; / er soll den Weg für mich bahnen. Dann kommt plötzlich zu seinem Tempel / der Herr, den ihr sucht, und der Bote des Bundes, den ihr herbeiwünscht. / Seht, er kommt!, spricht der HERR der Heerscharen. Mal 3, 1.
Johannes am Anfang des Evangeliums als diesen Boten vorzustellen hatte noch einen weiteren Grund. Als Paulus etwa zwanzig Jahre nach dem Wirken des Johannes und ebenso lang nach Jesus in Ephesus, der Großstadt in Kleinasien, ankommt, gibt es dort Johannesjünger. Johannes hatte eine Bewegung ausgelöst, die weit über seinen gewaltsamen Tod hinaus Bestand hatte. Die Botschaft des Markus an diese Jünger war: Johannes war der Bote des Messias Jesus. Wer Anhänger des Johannes wurde, muss Anhänger Jesu werden.
Was war das Neue an der Botschaft des Johannes? Im Mosaischen Gesetz, der Thora, ist ein zentraler Gedanke REIN und UNREIN. Der Mensch muss rein sein vor Gott. Er wird aber immer wieder unrein. Diese Unreinheit muss sich der Mensch auf symbolische Weise durch Wasser abwaschen. Es gibt in der Thora eine Unmenge von Aufzählungen, welches Vergehen unrein macht und dass sich der Unreine dann waschen muss, um wieder rein zu werden. Ein Waschen oder Eintauchen in Wasser war für die gesetzestreuen Juden eine Selbstverständlichkeit. Es war immer derselbe Mechanismus. Unrein sein, sich waschen, wieder unrein werden, sich waschen usw. und das von der Wiege bis zur Bahre.
Der Täufer Johannes geht an den Jordan und ruft von dort aus sinngemäß: Halt Stopp! So geht das nicht! Ihr wartet auf den Messias und denkt, dann wird der mit den Heiden aufräumen. Wir Juden als Gottes Volk sind dann die Herren der Welt. Ihr irrt euch furchtbar. Ihr verlasst euch auf eure Waschungen und denkt, ihr könnt leben wie ihr wollt. So geht das nicht. Mit eurer Herzenshaltung machen euch eure Waschungen nicht rein. Lasst eine einzige Waschung an Euch geschehen und beginnt ein neues Leben. Lebt so, dass ihr keine Waschungen mehr braucht.
Der Umkehrruf des Johannes traf auf Widerstand und fand Anhänger. Wer den Umkehrruf verstanden hatte, der war auf den Umkehrruf Jesu vorbereitet.
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Markus zitiert Johannes mit den Worten: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken und ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Ich habe euch mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.
Allen vier Evangelien ist gemeinsam, dass sie Johannes mit der Aussage zitieren: Ich habe euch mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen. Das griechische Wort für taufen baptízein bedeutet ein rituelles ein oder untertauchen. Das tat Johannes am Jordan, wenn er die Umkehrwilligen ins Wasser des Flusses eintauchte. Einen ähnlichen Vorgang sagt Johannes in Bezug auf den Geist Gottes voraus. Er, nämlich der Christus, wird die Umkehrwilligen in den Geist Gottes eintauchen. Diese Prophetische Verkündigung des Johannes erfüllt sich für die Jünger Jesu zu Pfingsten. Der Täufer Johannes hat dieses Versprechen aber nicht nur für die Jünger Jesu abgegeben. Es ist weder ein zahlenmäßig noch ein zeitlich begrenztes Versprechen. Es gilt darum immer noch.
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Und es geschah in jenen Tagen, da kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Und sogleich, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel aufriss und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden. V 9-11 Jede christliche Generation hat sich neu gefragt: Warum hat Jesus das getan? Jesus war ein Mensch wie alle Menschen mit einer Ausnahme. Er war ohne Sünde.Die Taufe des Johannes war eine Taufe zur Umkehr. Wovon sollte oder konnte Jesus also umkehren?
Die naheliegendste Antwort ist, dass Jesus sich bewusst in die Reihe der Sünder stellt, sich mit ihnen und damit mit uns allen solidarisiert. Schon am Anfang seines öffentlichen Auftretens weiß Jesus, was das Ende sein wird. Er wird wie ein Sünder sterben.
In dieses voraus Wissen hinein geschieht die Offenbarung Gottes. Du bist mein geliebter Sohn. Ein Kind sein ist ja ganz schön, ein Kind Gottes sein noch schöner. Was das bei Jesus allerdings bedeutet, das wird erst klar, wenn man den Psalm 2 liest. In diesem Psalm spricht Christus zur Menschheit: Lasst mich die Anordnung des HERRN bekannt geben! Er hat zu mir gesprochen: »Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt. Fordere von mir, und ich will dir die Nationen zum Erbteil geben und zu deinem Besitz die Enden der Erde. Ps 2, 7-8.
Jesus, der Sohn des Zimmermanns aus Nazareth, weiß, als er die Stimme aus dem Himmel hört mein Sohn bist du, dass er der zukünftige Herrscher der Welt ist. In diesem Wissen beginnt er seine Verkündigung.
Aber noch ist es nicht so weit. Jesus, der Herr und König der zukünftigen Welt muss in die Wüste. Und sogleich trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm. V12-13. Weil Jesus wirklich ein Mensch war, darum ist Macht auch für Jesus, wie für jeden Menschen eine Versuchung. Jesus weiß, dass er der König ist. Wie soll er damit umgehen? Seine Herrschaft sofort aufrichten? Oder den schweren Weg gehen, der am Kreuz enden wird? Das ist eine Entscheidung, die nicht ohne inneren Kampf getroffen werden kann. Jesus kämpft diesen Kampf in der Wüste. Und er gewinnt ihn.
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Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm. Dieser Satz ist nichts anderes als die Beschreibung des Garten Eden, einer Welt ohne Sünde. Jesaja beschreibt die zukünftige Welt so: Der Wolf findet Schutz beim Lamm, / der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, / ein kleiner Junge leitet sie. Jes 11, 6. Der Garten Eden wird seit dem Sündenfall von einem Engel bewacht und ist damit für den Menschen unerreichbar. Er vertrieb den Menschen und ließ östlich vom Garten Eden die Kerubim wohnen und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten. Gen 3, 24. Wenn Jesus mit den wilden Tieren lebt und die Engel ihm dienen, dann ist Jesu der neue Adam, an dem der Versucher gescheitert ist.
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Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium! V14-15 Mit „ausgeliefert“ will Markus sagen, dass Johannes ins Gefängnis geworfen worden war. Der Täufer Johannes hatte es gewagt den Landesfürsten Herodes Antipas für seine Ehe zu kritisieren. Diese Ehe war zwar nach römischem Recht legal, nach mosaischem Recht war sie verboten. Markus wird später auf die genaueren Details zu sprechen kommen.
Die vier Berichte über Jesus heißen, wie wir wissen, Evangelien. Sie verdanken diesen Namen der Anfangsverkündigung Jesu: glaubt an das Evangelium. Das griechische Wort euangelion bedeutet Gute Nachricht oder Lohn für den Überbringer einer guten Nachricht. Jesus war überzeugt, dass er eine Gute Nachricht verkündete. Sie anzunehmen war aber nicht ohne eine Umkehr möglich. Das griechische Wort, das für Umkehr an dieser Stelle im Urtext steht, lautet Metanoia. Das bedeutet die Änderung einer Auffassung zu bestimmten Dingen. Die Änderung der Auffassung oder des Denkens betraf das Reich Gottes.
Die Juden erwarteten den Messias. Die Gemeinschaft der Essener erwarteten sogar zwei, einen königlichen und einen priesterlichen Messias. Was der Messias oder sie bringen würden war jedoch in jedem Fall klar, eine jüdische Herrschaft über die Welt und den völligen Frieden. Jesus war Jude. Das war sein Selbstverständnis. Jesus wusste von sich auch, wer er war, der Sohn Gottes und endzeitliche König. Und er kannte die Erwartungen seines Volkes. So hatte der Prophet Sacharja verkündet: Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Gerecht ist er und Rettung wurde ihm zuteil, demütig ist er und reitet auf einem Esel, ja, auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin. Ausmerzen werde ich die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, ausgemerzt wird der Kriegsbogen. Er wird den Nationen Frieden verkünden; und seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Strom bis an die Enden der Erde. Sach 9, 9-10 Das war die Hoffnung der Zuhörer. Nun verkündete Jesus das Reich Gottes wissend, dass es so nicht kommen würde.
Das Reich Gottes war nahe. Es war in Jesus schon da. Wer die Worte Jesu hörte, der dachte bei nahe natürlich an eine zeitliche Nähe. Hätte Jesus das gemeint, dann hat er sich geirrt. Es gibt aber ein anderes nahe sein von Gottes Reich, das nur durch Metanoia verstanden wird.
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Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihre Netze auswarfen; sie waren nämlich Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Und sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach. Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her. Sogleich rief er sie und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach. V16-20
Liest man den Text und nimmt ihn so, wie er dasteht, so wundert man sich. Was sind das für Fischer, die einfach alles liegen lassen, wenn ihnen Jesus, den sie vielleicht zum ersten Mal sehen, sagt, sie sollen ihm folgen. Wie in seinem ganzen Evangelium hat Markus hier viel weg gelassen. Er will nur die Berufung schildern, nicht den Werdegang dahin, der natürlich statt gefunden hat. Simon ist niemand anderer als Petrus. Simon Petrus aber war selber Chef einer Arbeitsgemeinschaft von Fischern. So jemand überlegt es sich, seinen Beruf aufzugeben und sich in das ungewisse Schicksal der Nachfolge hinter einem Rabbi und Wanderprediger zu stürzen. Was Markus hier festhält, das sind die Namen der ersten Jünger, die Jesus berufen hat, die Brüderpaare Simon Petrus und dessen Bruder Andreas, Jakobus und dessen Bruder Johannes.
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Sie kamen nach Kafarnaum. Am folgenden Sabbat ging er in die Synagoge und lehrte. Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten. In ihrer Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei. Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa. V21-28
Die Ortsangabe Sie kamen nach Kafarnaum.verwundert ein wenig. Petrus lebte und arbeitete als Fischer in Kafarnaum. Der Ortswechsel ist also nur der vom Ufer des Sees in den Ort. In Kafarnaum war eine Synagoge. Es war nicht die, deren Überreste heute zu sehen sind. Die Ruinen von heute stammen von einer Synagoge, die im späten 5. Jahrhundert fertig gestellt wurden.
Jesus ging als Jude selbstverständlich am Sabbat in die Synagoge. Das war ein Gebäude, das für die Versammlung der Gemeinde als Lehr- und Bethaus errichtet worden war. Die Synagoge wurde später zum Vorbild für den Bau der christlichen Kirchen.
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Am folgenden Sabbat ging er in die Synagoge und lehrte. Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten. Ein jüdischer Lehrer, Rabbi genannt, pflegte zu zitieren, was ein anderer berühmter Rabbi gelehrt hatte und von dort ausgehend seine Gedanken weiter zu entwickeln. Eine solche Art zu lehren findet sich bei Jesus nirgends. Jesus hält sich nicht mit den Gedanken auf, die schon gedacht worden sind und deren Urheber man in der heutigen Sprache Professoren der Theologie nennen würde. Darum kümmert er sich nicht. Jesus sagt vielmehr: So will und meint es Gott. Punkt.
Das viel den Zuhörern auf. Das nannten sie Vollmacht.
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In ihrer Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. Hier wird es für den heutigen Leser nicht einfach. Jeder Mensch weiß, dass er einen Körper hat und eine Psyche, eine Seele. Die Rede vom Geist des Menschen ist eine Selbstverständlichkeit, wie immer man das im Einzelnen meinen mag. Hier aber ist von einem Geist die Rede, der nicht Teil dieses Menschen ist. Es handelt sich vielmehr um eine Okkupation durch einen Geist, der den Menschen unter seine Kontrolle gebracht hat. Dieser Geist kann das Denken und die Stimmwerkzeuge des Opfers benützen und die Frage stellen: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Vielleicht ist dieser Mensch – es wird nicht gesagt, ob es ein Mann oder eine Frau war, weil aber die Versammlung in der Synagoge eine Versammlung der Männer war, kann es nur ein Mann gewesen sein – vielleicht ist dieser Mensch vorher gar nicht besonders aufgefallen. Er mag ein wenig komisch gewesen sein, vielleicht verängstigt oder misstrauisch. Wäre er wirklich als besessen erkannt worden, dann wäre er wohl kaum am Sabbat in der Versammlung der Frommen gewesen. Erst in der Begegnung mit Jesus wird deutlich, dass dieser Mensch in der Knechtschaft einer widergöttlichen geistigen Macht ist. Diese geistige Kraft, die grundsätzlich das Schlechte will, hat mehr Durchblick wie alle anwesenden Frommen. Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. Der negative Geist erkennt die Gefahr, die von Jesus ausgeht und er kann nicht anders, als sich durch sein Reden zu verraten.
Der Evangelist Markus berichtet die Antwort Jesu. Sie ist ebenso knapp wie getragen von der göttlichen und königlichen Autorität dessen sich Jesus bewusst war. Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! Das war kein Exorzismus (Wikipedia erklärt Exorzismus so: Exorzismen werden auch Teufels- oder Dämonenaustreibung genannt und gehören zum Bereich der seit der Antike üblichen apotropäischen Handlungen. Der Exorzist nutzt zumeist beschwörende Exorzismusformeln, um mit dem vermeintlichen Dämon in Kontakt zu treten und ihn schließlich zum Verlassen des Körpers zu bewegen.1 Genau so war es nicht. Jesus spricht kurz und knapp einen Befehl und der unreine Geist muss gehorchen. Der Geist tut das, indem er noch eine Schau abzieht, aber er gehorcht.
Natürlich mussten die Menschen in der Synagoge in Erstaunen geraten. Das Verhalten Jesu und die Reaktion des Menschen, der von einer ich-fremden geistigen Kraft kontrolliert war, das sprengte alles, was man kannte oder gehört hatte. Und gerade weil man das in den bisherigen Erfahrungshorizont nicht einordnen konnte, wurde das weiter erzählt und stieß auf ablehnendes Kopfschütteln oder Neugier.
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Sie verließen sogleich die Synagoge und gingen zusammen mit Jakobus und Johannes in das Haus des Simon und Andreas. Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie sprachen sogleich mit Jesus über sie und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie diente ihnen. V 29-31.
Das Haus der damaligen Zeit bestand in der Regel aus einem einzigen Raum. Das bedeutet, es ging gar nicht anders, als Jesus zu erklären, warum die Frau des Hauses da lag und kein Mittagessen auf dem Tisch stand. Jesus hatte also nur ein paar Schritte zu machen, um die Schwiegermutter bei der Hand zu nehmen Das tat er offenbar ohne Worte. Die Berührung durch Jesus genügte. Die Schwiegermutter wurde gesund und zwar - obwohl sie vorher Fieber hatte, was bekanntlich schwächt – so gesund, dass sie sofort wieder fähig war, ihre Pflicht als Gastgeberin zu erfüllen.
So nebenbei erfahren wir dabei, dass Petrus verheiratet war und dass er zusammen mit seinem Bruder Andreas ein Haus in Kafarnaum besaß. Es gibt unzählige Gemälde von Petrus. Darauf ist er immer als alter Mann mit wehendem Bart zu sehen. Das ist kein realistisches Bild von dem wahren Petrus. Petrus als Jünger Jesu war gewiss nicht älter als Jesus. Jesus war am Anfang seines Wirkens etwa zwischen einunddreißig und vierunddreißig Jahre alt. Dass Petrus verheiratet war, das war eine jüdische Selbstverständlichkeit. Das waren, wie aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther hervor geht (1Kor 9, 5), die anderen Apostel auch.
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Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus. Die ganze Stadt war vor der Haustür versammelt und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus. Und er verbot den Dämonen zu sagen, dass sie wussten, wer er war. V32-34.
Was in der Synagoge geschehen war, das hatte sich herum gesprochen. Es gab keine Medizin in unserem Sinn und erst recht keine medizinische Versorgung. Aber Kranke gab es damals wie heute. Da war plötzlich jemand, der helfen konnte. Also ging jedermann hin oder wurde hin getragen, der Hilfe brauchte.
Es gibt Predigten, christliche Vorträge und Evangelisationen, die man alle unter der Überschrift zusammen fassen könnte: Rette deine Seele! Die körperlichen Heilungen, die Jesus wirkte, zeigen einen Jesus und damit einen Gott, der das Heil des ganzen Menschen will. Einen Gott, der nur die Seele retten will, gibt es nicht.
In einem naturalistischen Weltbild gibt es keine Dämonen. Da lassen sich alle psychischen Erkrankungen biologisch erklären. Markus schreibt jedoch, dass die Dämonen wussten, wer Jesus war. Gemeint ist damit die Wahrheit, dass Jesus der Messias und der Sohn Gottes war. Im naturalistischen Weltbild kann es keine geistige, d.h. nicht materielle Intelligenz geben, die mehr weiß, wie wir Menschen durch unseren Verstand erkennen können. Genau das aber behauptet Markus. Diese geistige nicht materielle Intelligenz konnte nach Aussage des Markus die Persönlichkeit eines Menschen so weit ausschalten, dass der betroffene Mensch nicht mehr sprach, was er wollte, sondern dass die undefinierbare aber auf jeden Fall widergöttliche Kraft die Kontrolle über den betreffenden Menschen und sein Sprechen übernahm. Was diese Kraft dann sagen wollte, nämlich wer Jesus war, das wollte Jesus nicht bekannt gemacht wissen.
Warum?
Weil die Wahrheit, dass Jesus der Messias war, eine hochpolitische Tatsache war. Wenn das klar war, dann würde das sofort zu einem Handeln der jüdischen Obrigkeit und zu einem Eingreifen der römischen Besatzung führen. Das Bekenntnis der Dämonen war also kein Bezeugen der Wahrheit, sondern ein Versuch, den Weg Jesu zu durchkreuzen.
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In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten. Simon und seine Begleiter eilten ihm nach, und als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen. Und er zog durch ganz Galiläa, verkündete in ihren Synagogen und trieb die Dämonen aus. V 35-39.
Was am Vorabend geschehen war, das war außerordentlich gewesen. Nun waren am Morgen noch mehr Menschen gekommen. Alle suchen dich! Jesus war von den Menschen weg gegangen in die Stille, um zu beten. Jesus suchte den Willen Gottes. Ein Jesus, der betet, um zu erkennen, was jetzt dran ist, das ist der Mensch Jesus. Jesus weiß, wer er ist, aber hier in dieser Welt und in der der Spanne seines Lebens ist er ein wirklicher Mensch. Darum geht er in die Stille. Die Frage ist, soll er als Heiler den Menschen, die in wirklicher Not sind helfen. Oder soll er die Hilfe suchenden Kranken krank sein lassen und gehen. Das ist keine einfache Entscheidung. Jesus trifft sie nach dem Gebet. Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen.
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Ein Aussätziger kam zu Jesus und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will - werde rein! Sogleich verschwand der Aussatz und der Mann war rein. Jesus schickte ihn weg, wies ihn streng an und sagte zu ihm: Sieh, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring für deine Reinigung dar, was Mose festgesetzt hat - ihnen zum Zeugnis. Der Mann aber ging weg und verkündete bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; er verbreitete die Geschichte, sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte; er hielt sich nur noch an einsamen Orten auf. Dennoch kamen die Leute von überallher zu ihm. V 40-45.
Die Heilungen, die in Kafarnaum geschehen waren, hat Markus nur summarisch aufgezählt. Bei der Heilung des Aussätzigen geht er ins Detail. Der Aussätzige bekannte mit seiner Geste des Kniefalls, dass Jesus mehr war als der Sohn eines Zimmermanns. Jesus war auch mehr als ein Rabbi und mehr als ein Wundertäter. Und doch hätte alle diese Ehrerbietung gar nicht geschehen dürfen. Wer Aussatz hatte, der war unrein. Als Unreiner hätte er sich Jesus gar nicht nähern dürfen. Was Jesus als Reaktion tat, das hätte auch Jesus nicht tun dürfen. Das hat das Gesetz des Mose vorgeschrieben: Der Aussätzige mit dem Anzeichen soll eingerissene Kleider tragen und das Kopfhaar ungekämmt lassen; er soll den Bart verhüllen und ausrufen: Unrein! Unrein! Solange das Anzeichen an ihm besteht, bleibt er unrein; er ist unrein. Er soll abgesondert wohnen, außerhalb des Lagers soll er sich aufhalten. Lev 13,45-46. Der Aussätzige hätte also durch das Rufen von „Unrein! Unrein!“ Jesus vor einer Annäherung warnen müssen, anstatt zu ihm zu gehen. Jesus vollendete den Tabubruch, indem er ihn berührte. Wer etwas Unreines berührte, war damit selbst unrein geworden. Nicht nur der Aussätzige hatte sich über das Gesetz des Mose hinweg gesetzt, sondern auch Jesus mit seiner menschlichen Geste der Berührung.
Weil Unreinheit und Reinheit nach dem Gesetz vom Priester festgelegt wurde und weil das entweder Ausschluss aus der Gemeinschaft oder Wiederaufnahme bedeutete, schickt Jesus den Geheilten zum Priester. Der Priester musste die Heilung bestätigen, damit der Geheilte wieder in sein Dorf und in seine Familie zurück kehren konnte.
Der Geheilte war begeistert von dem, was an ihm geschehen war und sprach offenbar überall und jederzeit davon. Das hatte für Jesus Folgen. Aussatz war damals und bis zur Entdeckung der Antibiotika nicht heilbar. Durch das Wort Jesu Ich will - werde rein! war der Aussatz von einem Moment zum anderen verschwunden. In seiner Begeisterung über die Heilung tat der Geheilte das Gegenteil dessen, was Jesus befohlen hatte. Sieh, dass du niemandem etwas sagst! Das war der Befehl Jesu. Die Krankheit musste dem Befehl Jesu gehorchen. Der Mensch muss es nicht. Ohne jeden Kommentar stellt Markus die beiden Befehle und ihre Folgen nebeneinander. Er berichtet nur von den Auswirkungen für Jesus. Jesus wurde von nun an von Kranken regelrecht belagert, selbst dann, wenn er vermeintlich in die Einsamkeit geflohen war.
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